GRUNDLAGEN DES OBSTBAUMSCHNITTS

Natürlicher Wuchs von Bäumen

Obstgehölze gedeihen und fruchten grundsätzlich auch ohne Einfluss des Menschen, wie wir an wild wachsenden Bäumen sehen können. Der natürliche Wuchs zeigt einige Gesetzmäßigkeiten:
Der Baum wächst in der Mitte stärker und höher als seitlich und ist zugleich unten meist breiter als oben; dies hat vor allem statische Gründe.
Die Blätter streben nach Sonnenlicht; Äste, die viel Licht bekommen, werden besser versorgt und wachsen daher stärker, während solche, die beschattet sind und dem Gesamtsystem Baum durch ihre geringe Fotosynthese-Aktivität wenig dienen oder sogar eine negative Bilanz aufweisen, schlechter mit Nährstoffen versorgt und im Extremfall aufgegeben werden und absterben.
In der Jugend herrscht die vegetative Phase mit vorwiegend vertikalem Wachstum vor, bis eine gewisse Größe erreicht ist. Danach geht der Wuchs mehr in die Breite und der Baum beginnt mehr und mehr zu blühen und Früchte zu bilden (generative Phase), mit dem Ziel, sich über Samen zu vermehren. Dabei entwickeln sich nicht unbedingt jedes Jahr viele oder gar große Früchte. Dies kann dazu führen, dass sich in einem Jahr sehr viele Samen bilden, dafür aber wenig Energie übrig bleibt, um Blütenknospen fürs nächste Jahr auszubilden. Der Ertrag ist im Jahr darauf folglich geringer oder setzt gänzlich aus, es entsteht Alternanz.

Warum Schnitt?

Als die Menschen vom reinen Sammeln spontan wachsender Früchte zum gezielten Kultivieren
der Bäume übergegangen sind, ist auch der Baumschnitt entstanden, mit dem Ziel, den Anbau zu erleichtern.

Warum schneiden wir Obstbäume?

Pflege (inkl. wenig Schnittaufwand) und Ernte (Baumhöhe, Baumform) werden erleichtert.
Wachstum, Frucht- und Blütenknospenbildung können in ein Gleichgewicht gebracht werden, um regelmäßigen Ertrag mit guter Fruchtqualität zu erzielen (= physiologisches Gleichgewicht, Vermeiden von Alternanz).
Die Verminderung der Blüten-/Fruchtanzahl führt zu einer Steigerung des Gewichtes der verbleibenden Früchte.
Mehr Luft und Licht kommt in den Baum, was ein schnelleres Abtrocknen und damit weniger Krankheiten, eine Verbesserung von Ausfärbung, Geschmack und Lagerfähigkeit der Früchte bewirkt.
Das Entfernen schadhafter, kranker und toter Baumpartien trägt zur Baumhygiene bei.
Alte, vergreiste und zu schwachwüchsige Bäume werden wieder zum Wachsen angeregt (= Vergjüngung), was die Lebens- und Nutzungsdauer sowie die Fruchtqualität erhöht.

Die meisten Ziele, die wir beim Baumschnitt verfolgen, dienen der Arbeitserleichterung und Sicherung regelmäßiger Erträge von hoher Fruchtqualität sowie dem vorbeugenden Pflanzenschutz und sind daher für einen wirtschaftlichen Anbau notwendig.

Wird nicht geschnitten, wächst und fruchtet der Baum zwar auch, die Äste werden aber nach einiger Zeit zu dicht und vergreisen, viele Baumpartien bekommen zu wenig Luft und Licht und werden in der Folge ungenügend mit Nährstoffen versorgt, (Pilz-)Krankheiten nehmen zu, der Fruchtertrag alterniert bzw. die Früchte sind meist von geringer Qualität.
Im Erwerbsobstbau soll der Baum möglichst rasch in den vollen Ertrag kommen. Zusätzlich ist vor allem für den Frischmarkt eine hohe Fruchtqualität (Größe, Ausfärbung, Geschmack und Lagerfähigkeit) erforderlich.
Neben Standort-, Sorten- und Unterlagenwahl sowie geeigneter Pflege (z. B. Bodenbearbeitung, Düngung und Pflanzenschutz) ist der Schnitt eine wichtige Maßnahme, um dies zu erreichen und den Baum über lange Zeit vital und fruchtbar zu halten.
Mögliche Nachteile, die durch den Baumschnitt entstehen können:

Eingriff in den natürlichen Wachstumszyklus des Baumes
Wunden entstehen, die wieder verheilen müssen
Krankheiten können durch Werkzeug und Mensch übertragen werden
Verletzungsgefahr beim Schneiden durch Werkzeug und Sturz (vor allem bei hohen Bäumen)
Kosten (Werkzeug, Arbeitszeit)

Wichtig ist es, zu wissen, was wir mit Schnittmaßnahmen bezwecken. Bei alten oder sehr hohen Bäumen beispielsweise gilt es vorher abzuwägen, ob Aufwand und Nutzen der durchgeführten Maßnahmen in einer sinnvollen Relation zueinander stehen. Da, wie schon oben erwähnt, Bäume gut auch von alleine wachsen und fruchten können, empfiehlt es sich für Unkundige im Zweifelsfall besser gar nicht als falsch zu schneiden.

Aus dem Buch:

ISBN 978-3-7020-1432-2
Andreas Spornberger (Hrsg.)
DER PROFESSIONELLE OBSTBAUMSCHNITT
Inkl. Vermehrung & Veredelung
Praxisbuch
4. Auflage, 160 Seiten, über 400 Farbfotos und Grafiken, 16,5 x 22 cm, Hardcover
€ 24,00

Mit zahlreichen Vorher/Nachher-Fotos weist dieses Praxisbuch Profis, aber auch Hobby-Gärtnern den Weg zum richtigen Obstbaumschnitt und dem damit verbundenen guten Ertrag. Ob Kern-, Stein- oder Beerenobst, ob Spindelbusch, Viertel- oder Halbstamm – alle im Lebenslauf eines Obstbaumes nötigen Schnittmaßnahmen werden in vielen Bildern erläutert, die die Entwicklung jedes Baumes über mehrere Jahre dokumentieren. Ein Extrateil widmet sich der Veredelung und dem Umpfropfen von Obst!