ALTE BRÄUCHE
6. Dezember
Die christliche Legende kennt ihn als den gütigen Bischof von Myra, der vor allem für seine Mildtätigkeit bekannt war. So half er einst drei Jungfrauen, denen das Heiratsgut fehlte, indem er ihnen drei golden Kugeln ins Fenster legte.
In der alteuropäischen Überlieferung waren die ersten wichtigen Tage der Innenschau der 5. und 6. Dezember. Der 5. galt als Tag der Abrechnung. Abrechnung ist hier als eine Rückschau auf das eigene ethische Handeln im abgelaufenen Jahr zu verstehen. Am 5. (an dem unser heutiger Krampus angesiedelt ist) betrachtete man die dunkle Seite, also die Vergehen, derer man sich schuldig gemacht hatte. Es ging darum, die „innere Gewissheit über das eigene Handeln“ zu überprüfen, also um das Wiederherstellen des „guten Gewissens“. Am 6. Dezember wurde das Gute beziehungsweise die Wiedergutmachung in den Vordergrund gestellt. Die Verkörperung dieser Prinzipien kennen wir heute noch als Nikolaus, der das Gute belohnt, und als Krampus, der das Böse bestraft. Sowohl im persönlichen Leben als auch innerhalb der Gemeinschaft sollte alles geklärt und bereinigt sein, damit man unbeeinträchtigt in das neue Jahr gehen konnte. In christlicher Zeit entwickelten sich daraus sogenannte „Nikolospiele“. Ursprünglich ging man von Hof zu Hof, wo das Spiel in den Stuben abgehalten wurde.
Heute werden oft sogenannte „Krampusläufe“ oder „Höllentänze“ mit bis zu hundert Masken oder sogar mehr veranstaltet, die man fälschlicherweise als Perchtenläufe bezeichnet. Diese Gestalten haben mit den wirklichen Perchten nichts zu tun. Sie sind in dieser Form für die Zeit vor Weihnachten falsch gewählt, da sie Hitze, Lärm und Unruhe verbreiten, also das Gegenteil von dem, was die Stille bringen würde. Auch die dabei verwendeten Masken weichen von den ursprünglichen Darstellungen der wilden Naturkräfte weit ab. Die heute üblichen Figuren erinnern an Geisterbahn und Horrorfilm und entsprechen keiner alten Überlieferung.
Ab dem 5. Dezember geht – je nach Region – die Percht in einem stillen Brauch in bestimmten Nächten um. Manchmal in ihrer freundlichen, gabenbringenden Gestalt, manchmal auch als warnende Figur. Im Sarntal in Südtirol sind an jedem Donnerstag vor Weihnachten die Glöckler unterwegs, die es in einigen Regionen des Alpenraums in verschiedenster Form gibt. Im Sarntal tragen manche von ihnen ein zotteliges Fell, andere ein Rindenkleid. Mit großen Kuhglocken am Gürtel ziehen sie von Hof zu Hof und singen draußen vor dem Haus Lieder, welche die Weihnachtsgeschichte erzählen. Da ihr Erscheinen als glücksbringend gilt, werden sie hinterher mit Krapfen oder Kletzenbrot und Schnaps bedacht.
Selten geworden ist das Nikolospiel. In Bad Mitterndorf im steirischen Salzkammergut hat es sich seit 100 Jahren in einer traditionellen, längeren Form als eine Art Jedermannspiel mit einem überlieferten Text erhalten.
In Gössnitz in der Weststeiermark lebt es als fröhlicher überlieferter Brauch (seit 1850 belegt), bei dem sich junge Leute aus der Dorfgemeinschaft zusammentun und in die Schule und auf einige Bauernhöfe kommen, in denen sie willkommen sind.
Der Raum hat sich mit Besuchern gefüllt und die Erwartung ist allen ins Gesicht geschrieben. Großeltern mit ihren Enkelkindern, Jugendliche oder Erwachsene, Verwandte, Nachbarn und Freunde, wer hier eingeladen wird, sieht das als Ehre an und entsprechend groß ist das Gedränge. Man wird gewarnt, Mützen, Taschen und seine Besitztümer zu verstecken, da sich das Bettelvolk bereits ankündigt. Immer wieder hört man, wie die Bartln draußen an Türen oder Fenstern rütteln und lärmen. Einigen Kindern klopft das Herz sichtlich stärker als sonst. Tee, Glühwein, Kekse und Kletzenbrot werden ausgeteilt, bis schließlich das Bettelvolk hereinstürmt. Es führt eine Kraxe (Buckelkorb) mit sich, aus der ein Paar Kinderfüße herausragt.
Aus dem Buch:
ISBN 978-3-7020-1443-8
Waltraud Ferrari
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