Kaltblutpferde
Kaltblutpferde von Dr. Thomas Druml
In den 1970er-Jahren räumte man Kaltblutpferden nicht mehr viele Überlebenschancen ein, doch heute gehören sie zu einer der boomenden Branchen der Horse Industry. Obwohl eine Zeitlang mit einem negativen Image behaftet und vom Aussterben bedroht, waren diese Pferde sprichwörtlich die Träger unserer Kultur.
Die Bezeichnung Kaltblut ist jung und geht auf das frühe 20. Jahrhundert zurück, als auch die „Halbblüter“ zu „Warmblutrassen“ wurden. Frühere Namen wie Lastenpferd oder Großes Schrittpferd charakterisierten treffender die wichtigsten Eigenschaften dieser Pferde, die man in zwei Gruppen teilen kann: in die schweren Kaltblutrassen des Flachlandes und die autochthonen Regionalrassen. Erstere sind die britischen Shire Horses, Suffolk Punches und Clydesdales und die große Gruppe der französischen und belgischen Kaltblutrassen. Dieser Kaltbluttyp, auffallend durch sein schweres Kaliber und seinen enormen Wuchs, überrollte von 1850 bis 1920 die prosperierenden Agrarländer und Industrienationen und avancierte rasch zum Symbol des Fortschritts und der agrarischen Intensivierung.
Die zweite Gruppe setzt sich aus einer Unzahl von lokalen Rassen zusammen, die phänotypisch recht variabel sind, nämlich den autochthonen Kaltblutpferden. Je nach Herkunftsland und geographischer Lage existieren sie in unterschiedlichsten Ausprägungen: vom spanischen Burgueta über den skandinavischen Kaltbluttraber und das Nordschwedische Kaltblut bis hin zum zentraleuropäischen mittelgroßen Kaltblutpferd der Alpen dem österreichischen Noriker. Diese mittelschweren Pferde sind bestens an ihre Umwelt angepasst, aber trotz ihrer Unterschiede weisen sie alle grundsätzlich die gleichen Charakteristika auf, wie vielseitige Verwendungsmöglichkeit, Futtergenügsamkeit und Anspruchslosigkeit. Hauptsächlich in Extensivgebieten angesiedelt, mussten sie mit dem Wenigen, was Mensch und Natur bieten konnten, ihr Auslangen finden bei maximaler Leistungsfähigkeit. Die heutigen autochthonen Kaltblutrassen sind demnach das Produkt Jahrhunderte langer Anpassung an ihre Umwelt und der Mensch wirkte züchterisch hauptsächlich stabilisierend.
Ganz anders liegen die Verhältnisse bei den schweren Kaltblutrassen des Flachlandes. Sie entstammten wohlüberlegten und aus ökonomischem Kalkül betriebenen Kombinationskreuzungen mit anschließender Konsolidierungszucht. Futtergenügsamkeit, Härte und Lebensdauer spielten bei ihnen wenig Rolle, denn sie dienten dem schnellen Geld und dem schnellen Erfolg. Aus diesem Grund entwickelten sich äußerst frühreife, schwerkalibrige „Zugmaschinen“.
Evolutionsgeschichtlich sind Kaltblutpferde als eine eigene Gruppe anzusehen, und Merkmale wie Kötenbehang, gespaltene Kruppe und fülliges, grobes Langhaar trennen sie klar von den anderen Grundtypen des Pferdes. Ihre Nervenstärke und ihre sprichwörtliche Gutmütigkeit sind unübertroffen, und gerade diese Eigenschaften sind es, auf die Züchter bis heute größten Wert legen. Ihre innere Ruhe, ausgeprägte Intelligenz und Menschenbezogenheit gewährleisten eine hervorragende Lernfähigkeit das psychische Fundament jedes guten Arbeitspferdes. Trotzdem haben diese starken Pferde einen starken Charakter, der nach einer ausgeprägten Rangordnung verlangt.
Die Hauptgangart des Kaltblüters ist der Schritt. Es gibt kaum Pferderassen, bei denen dieses Merkmal besser ausgebildet ist. Lang, taktrein, mit prägnantem Antritt und guter Trittsicherheit, war der Schritt das überlebenswichtige Element, sei es im Gebirge, im Sumpf oder in den ausgedehnten Waldflächen. Kaltblüter sind Grenzgänger sie kommen nahezu mit jedem Terrain zurecht. Ihr langrechteckiges Format mit tiefer Schwerpunktslage ist die mechanische Voraussetzung für ihren ausgeprägten Gleichgewichtssinn. Oft weisen Kaltblüter auch eine gute Trabveranlagung auf, die aber nicht im Sinne des starken Trabs im Dressurviereck zu verstehen ist. Wie viele Arbeitspferderassen haben Kaltblüter einen gleichmäßigen, leichten und taktreinen Trab mit markanter Knieaktion. Die gute Gangmechanik war in agrarischen Randlagen nötig, denn ein Pferd musste hier vielseitig einsetzbar sein. Flacher, raumgreifender Trab war bei diesen Rassen unüblich, denn er entsprach nicht den praktischen Erfordernissen und führte zu vorzeitigem Verschleiß.
Gerne wird von den Unterschieden zwischen den Pferderassen gesprochen. Wie aber steht es um deren Züchter? Kaltblutzüchter sind eingefleischte Fachleute und exzellente Pferdekenner. Oftmals stur und unbeirrbar, sind sie nicht leicht zu beeinflussen und dies zu Recht, denn ihr Wissen baut auf den Erfahrungen von Generationen auf, schließlich ist Kaltblutzucht Familiensache. Pferde mit kräftiger und trockener Textur, Kraft, Mut und Temperament fanden stets Anklang, und der „herbe Kaltblut-Adel“, eine der treffendsten Zuschreibungen in der Hippologie, verbunden mit bestem Interieur, ist heute und in Zukunft das primäre Leitbild in der Kaltblutpferdezucht.
Einige Kaltblutrassen: Noriker/Süddeutsches Kaltblut; Schleswiger; Percheron, Ardenner, Boulonnais, Bretone, Belgier und daraus entstandene Tochterrassen, wie z. B. Rheinisch-deutsches Kaltblut; Pfalz-Ardenner; Schwarzwälder; Shire; Clydesdale, Suffolk Punch.
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